In unserem Beitrag über das koreanische Schulsystem haben wir versucht, einen Einblick in das das durch einen hohen Leistungsdruck geprägte Leben von koreanischen Schülern und Studenten zu geben. Aber wie geht es nach der Schule und dem Studium weiter? Wie arbeiten Koreaner? Laut Erhebungen der OECD ist Korea weltweit eines der Länder, in dem die Menschen die meisten Stunden täglich arbeiten – Ist das wirklich so und welche weiteren Herausforderungen und Besonderheiten bringt das Arbeiten in Korea mit sich? Im folgenden Interview mit der südkoreanischen Autorin unseres Korea Blogs chingufreunde soll ein authentischer Einblick in die koreanische Arbeitswelt gegeben werden.
Hallo, bevor du in Deutschland begonnen hast, zu studieren und zu arbeiten, konntest du bereits Arbeitserfahrung in Südkorea sammeln. In welchen Jobs warst du tätig?
Ich habe ein einjähriges Praktikum in der südkoreanischen Nationalversammlung (Parlament) absolviert. Dort habe ich im Büro eines Abgeordneten gearbeitet. Während meines Studiums habe ich außerdem in verschiedenen Nebenjobs gearbeitet (z.B. in einem Cafe).
Südkorea ist für lange Arbeitszeiten und viele Überstunden bekannt. Wie sahen deine Arbeitszeiten in Korea gewöhnlich aus?
Die reguläre Arbeitszeit umfasste 8 Stunden und ging von 9 bis 18 Uhr (von 12 bis 13 Uhr gab es eine Stunde Mittagspause). Überstunden waren die Regel – mindestens dreimal pro Woche. Meistens bin ich dann erst um 19 Uhr und in besonders arbeitsintensiven Phasen erst um 20 oder 21 Uhr nach Hause gegangen (z.B. in politisch heiklen Phasen).
Welchen deiner Jobs in Korea hast du am härtesten empfunden?
Definitiv meinen Job im südkoreanischen Parlament – dies hat unterschiedliche Gründe. Zunächst gab es unzählige Aufgaben, die zu erledigen waren. Hinzu kam das aktuelle Tagesgeschehen – bei politischen oder nationalen Krisen mussten wir schnell reagieren. Die Arbeit, die wir erledigten, betraf am Ende politische Angelegenheiten, wodurch ein zusätzlicher Druck entstand. Die Aufgaben, die ich übernahm, wurden überprüft und mussten nahezu fehlerfrei sein – dies war ich nicht gewohnt und erhöhte den Druck nochmal. Eine wichtige Fähigkeit für diesen Job war es, gute Texte schreiben zu können. Meine Texte mussten oft korrigiert werden, bis eine finale Version stand. In diesem Verlauf wurde ich häufig von meinem Boss stark kritisiert.
Von der Arbeit in Korea gibt es das Bild, dass die Mitarbeiter mit ihrem Boss noch für einen nächtlichen Drink in eine Bar gehen, was den sowieso schon langen Arbeitstag noch zusätzlich verlängert. Sind diese Trinkabende heutzutage noch normal und genießen die Beteiligten diese wirklich?
Trinkabende sind in der Tat fester Bestandteil der koreanischen Arbeitskultur! Obwohl es hin und wieder auch Spaß machen kann, sind diese nächtlichen Drink bei den meisten Koreanern sehr unbeliebt, da sie den Arbeitstag verlängern. Darüber hinaus wird bei solchen Abenden meist auch über arbeitsbezogene Themen diskutiert – es fühlt sich also auch wie Arbeit an. Da sich die koreanische Arbeitskultur durch starke Hierarchien auszeichnet, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich im Zuge dessen auch die Atmosphäre am Tisch sehr hierarchisch anfühlt. Es kann z.B. sein, dass der Boss redet und die jüngeren Angestellten einfach nur passiv sind und zuhören. Für die jüngeren Angestellten sind solche Trinkabende also mit das letzte, was sie sich nach einem langen Arbeitstag wünschen. Außerdem haben koreanische Arbeitnehmer natürlich auch noch ein Privatleben – Familie, Freunde, Partner. Die Trinkabende mit den Kollegen reduzieren die sowieso schon kurze verbliebende Zeit für die Liebsten. Besonders unpopulär sind Trinkabende, die „spontan“ oder Freitagsabends zustande kommen – ich würde sagen, die meisten Koreaner würden dies wirklich als sehr unangenehm empfinden.
Ok – die meisten Koreaner genießen die Trinkabende offensichtlich nicht. Kann man eine Einladung nicht z.B. einfach mit dem Hinweis, man sei müde ablehnen? Trauen sich die Südkoreaner bei solchen Einladungen „nein“ zu sagen?
Das hängt von der jeweiligen Unternehmenskultur ab – aber in der Regel ist es nicht einfach, solche Einladungen mit einem „nein“ abzulehnen. Wie bereits gesagt, herrscht in der südkoreanischen Arbeitswelt eine strenge Hierarchie, daher ist es schwierig, eine Einladung des Vorgesetzten, und wenn es nur um einen Trinkabend geht, abzulehnen. Wenn man eine solche Einladung ablehnt, würde man im negativen Sinne hervorstechen und dies könnte dem Vorgesetzten sauer aufstoßen– um Nachteile gegen sich selbst zu vermeiden, werden solche Einladungen also meist nicht so einfach abgelehnt. Aber dies ist nicht der einzige Grund. Oft nutzen koreanische Vorgesetzte einen Besuch in der Bar auch, um wichtige, arbeitsbezogene Informationen mitzuteilen. Wer an einem dieser Abende also nicht teilnimmt, läuft Gefahr, als einziger diese Information zu verpassen. Der Druck, an den Trinkabenden teilzunehmen, ist besonders bei männlichen südkoreanischen Arbeitern stark ausgeprägt – bei diesen herrscht der Hierarchiegedanke besonders stark vor, was u.a. auf den harten Militärdienst zurückzuführen sein kann, denn jeder männliche Koreaner durchlaufen muss. Besonders männliche Arbeitnehmer fühlen sich also verpflichtet, an den nächtlichen Drinks teilzunehmen, eine Ablehnung könnte auch als illoyales Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber gedeutet werden.
Abseits von Bürotätigkeiten: In Deutschland werden handwerkliche Tätigkeiten und Dienstleistungsjobs als normale Tätigkeiten angesehen. Einige dieser Berufe haben sogar einen sehr guten Ruf und werden außerordentlich vergütet. Welches Bild haben Südkoreaner von Berufen wie Friseur, Kellner, Handwerker usw. ?
Auf diese Frage kann ich nur eine sehr allgemeine Antwort geben. Handwerkliche Arbeiten werden in Südkorea, soviel ich weiß, nicht gut bezahlt. Es gibt in Südkorea den in Deutschland üblichen Weg vom Lehrling zum Meister in dieser Form nicht. Daher herrscht in Südkorea das Voruteil, dass diese Art von Jobs eher von ungebildeten Personen ausgeführt wird. Es gibt aber natürlich Ausnahmen, z.B. bekannte Friseure oder Köche, die sehr viel Geld verdienen.
Ostasiatische Gesellschaften wie die Südkoreas sind bekannt dafür, ältere Personen besonders respektvoll zu behandeln. Gilt dies in Korea auch in der Arbeit?
Für gewöhnlich ja, allerdings hängt es von der Position des Angestellten in der Firma ab. Die Hierarchie in koreanischen Unternehmen wir von der Jobposition und nicht vom Alter bestimmt. Wer alt ist und einen hohen Rang in der Firma innehat, wird respektiert. Wer alt ist und keine so gute Position hat, weniger. Der letzte Fall kann zu Konflikten führen und ist häufig der Grund, warum ältere Arbeitnehmer in Korea das Unternehmen freiwillig verlassen oder aus der Firma gedrängt werden. Im schwierigsten Fall ist der Vorgesetzte jünger als der Angestellte – dann treffen zwei Hierarchiewelten aufeinander (Job und Alter) – dies kann im Alltag problematisch werden.
Wie arbeiten eigentlich die Studenten in Korea? Ist in Südkorea z.B. das Konzept von Werkstudententätigkeiten in Büros bekannt?
Koreanische Studenten sind meistens in Nebenjobs tätig, in der Regel in Restaurants, Convenience Stores oder Cafés. Darüber hinaus absolvieren einige Studenten Praktika. Koreanische Studenten arbeiten häufig neben dem Studium, eine Arbeitsform wie die des Werkstudenten ist aber nicht bekannt.
In Deutschland ist es häufig immer noch so, dass Frauen bei gleicher Tätigkeit weniger verdienen als Männer und seltener befördert werden. Wie ist es in Korea?
Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Mann sind beim Arbeiten in Korea häufiger als in Deutschland. Allerdings gibt es in Südkorea darüber keine so offen geführte Debatte wie in Deutschland.
Wie verhält es sich in Korea, wenn eine berufstätige Frau schwanger wird? Wird sie während der Zeit, in der sie zuhause ist, weiterhin vom Arbeitgeber bezahlt und hat sie nach Schwangerschaft ein Recht auf Rückkehr auf ihre alte Stelle?
Die Rahmenbedingungen für schwangere Frauen und Mütter sind in Bezug auf das Arbeiten in Korea sehr schwierig. Allerdings ist es auch von Fall zu Fall unterschiedlich und ich kann nur eine sehr allgemeine Antwort geben. Oft ist es aber so, dass Schwangere benachteiligt werden, z.B. durch eine Entlassung oder die fehlende Möglichkeit, nach der Schwangerschaft wieder zum alten Job zurückzukehren. Eine Schwangerschaft kann in der Konsequenz zu einer folgenden Arbeitslosigkeit führen, auch da die Frauen in dieser Zeit ja keine Erfahrungen sammeln können. In der Konsequenz müssen sich die betroffenen Frauen im Anschluss mit niedrig bezahlten Jobs oder Positionen, die weit unter ihren vorherigen liegen, zufrieden geben.
Abgesehen davon, wie Unternehmen mit schwangeren Frauen umgehen und wie die rechtlichen Rahmenbedingungen in Südkorea für Mütter aussehen – möchten die Frauen nach der Geburt überhaupt arbeiten? In Japan z.B. werden viele Frauen nach der Geburt Hausfrau. Wie ist es in Korea?
Ich denke, dass jedenfalls in meiner Generation, in der ein sehr hoher Anteil der Frauen einen akademischen Abschluss besitzt, die meisten Frauen unabhängiger sein und ihre Karriere auch nach der Geburt des Kindes weiterverfolgen möchten.
Demgegenüber steht jedoch immer noch der Druck in der Gesellschaft, dass die Frauen sich nach der Geburt um das Kind und den Haushalt kümmern sollen – selbst, wenn zuvor eine erfolgreiche berufliche Karriere eingeschlagen wurde. Dazu kommen dann die zuvor beschriebenen negativen Begleitumstände durch die koreanischen Unternehmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gerade fördern.
Außerdem ist es auch in Südkorea sehr schwierig und teuer, einen Platz für das Kind in einer Betreuungseinrichtung wie Kita oder Kindergarten zu bekommen. Allgemein denkt man in Korea auch, dass es für Kinder nicht gut ist, bereits früh solche Einrichtungen zu besuchen und dass diese Aufgabe von der Mutter übernehmen werden sollte.
Die schwierigen Umstände in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit sind für die Frauen in Korea insgesamt sehr frustrierend und demotivierend. Viele Mütter kommen daher zu dem Entschluss, nicht zu arbeiten. Wären die sozialen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen und die Erwartungshaltung in der koreanischen Gesellschaft gegenüber Frauen anders, würden sich wohl mehr Mütter in Korea arbeiten.
Das Arbeiten in Korea und die dortige Arbeitskultur scheinen insgesamt sehr hart zu sein. Denkst du, dass sich daran etwas ändern wird und Südkorea sich westlichen Tendenzen annähert, wenn die jüngere Generation in Südkorea die ältere Generation nun langsam ablöst?
Ich denke, bei uns in Korea gibt es einen Unterschied zwischen dem was wir wollen, und wie unsere Kultur ist. Koreaner sind sich dessen bewusst, dass das Arbeiten in Südkorea wesentlicher härter ist und die Arbeitsbedingungen schlechter sind als in westlichen Ländern. Dieser Aussage würde jeder Koreaner zustimmen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass sich die harten Arbeitsbedingungen in Korea so sehr ändern werden, wie wir es uns wünschen. Der wirtschaftliche Aufschwang kam in Korea quasi über Nacht und die Leute waren überzeugt, dass man es nur mit sehr harter Arbeit zu etwas bringen kann. Obwohl die wirtschaftliche Situation nun deutlich besser ist als in der Vergangenheit, hat sich an dieser Einstellung nichts geändert.
Du hast bereits Arbeitserfahrung sowohl in Südkorea als auch in Deutschland gesammelt, wo liegen deiner Meinung nach in Bezug auf die Arbeit die größten Unterschiede zwischen beiden Ländern?
Die größten Unterschiede liegen z.B. in der generellen Erwartungshaltung von Angestellten und Vorgesetzten, der Frage- und Feedbackkultur und auch in den sozialen Rahmenbedingungen (z.B. bezahlter Urlaub und Krankheitstage).
In Deutschland betrachten die Menschen es als ihr Recht, sich Urlaub zu nehmen und haben dabei auch keine Hemmungen. Bei weniger als drei Krankheitstagen darf man in Deutschland sogar ohne ärztliches Attest zuhause bleiben.
Abgesehen von diesen Rahmenbedingungen, gibt es auch in Bezug auf die hierarchische Denkweise große Unterschiede. Da die koreanische Arbeitskultur sehr hierarchisch ist, verläuft auch die Kommunikation sehr hierarchisch. Das bedeutet, dass es sehr schwierig ist, z.B. die Meinung von Vorgesetzten offen zu diskutieren oder gar zu kritisieren. Auch wenn man die Entscheidungen des Vorgesetzten nicht nachvollziehen kann, führt man diese dann aufgrund des hierarchischen Abstandes ohne Diskussion aus. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber in Deutschland ist die Arbeitskultur ganz anders – die Hierarchien sind sehr flach. Meine Position erfordert es, dass ich zu bestimmten Dinge eine klare Stellung beziehe und mich proaktiv in Diskussionen einbringe. Und meine Meinung muss zu 100% ehrlich und begründet sein, da nur ehrliches Feedback am Ende des Tages die Arbeitsergebnisse verbessern und Fehlentscheidungen verhindern kann. Meine Arbeitskollegen und Vorgesetzten in Deutschland haben mich dazu ermutigt, zu jeder Zeit meine Meinung offen einzubringen, da sie dies sehr zu schätzen wissen. Es war sehr angenehm, dies von meinen Vorgesetzten gesagt zu bekommen.
Was würdest du Nicht-Koreanern sagen, die überlegen, in Korea zu arbeiten? Was sollten diese bei ihrer Entscheidung bedenken?
Überstunden sind an der Tagesordnung und es könnte für Fremde sehr schwierig werden, eine akzeptable Balance zwischen Beruf und Privatem zu finden – dieser Punkt ist insbesondere für Familien sehr wichtig. Die kulturellen Unterschiede in Bezug auf das Arbeiten in Korea und Deutschland sind sehr groß. Wie beschrieben, dominiert in Südkorea immer noch die hierarchische Arbeitskultur. Dies könnte für Deutsche, die es gewohnt sind, in flachen Arbeitskulturen zu arbeiten, eine große Umstellung erfordern. Eventuell ist es einfacher, die ausländischen Firmen in Korea zu arbeiten, da deren Arbeitskultur möglicherweise näher an der westlichen ist.
Was wäre dein Wunsch in Bezug auf die koreanische Arbeitswelt und Arbeitskultur? Was denkst du, müsste sich definitiv ändern?
Ich würde mir für Korea flachere Hierarchien in der Arbeit und eine veränderte Einstellung der Arbeitgeber hinsichtlich Arbeitszeiten und Überstunden wünschen. Außerdem sollte dem Familien- und Privatleben eine höhere Beachtung zukommen.
Zum Abschluss: Gibt es etwas, dass du an der koreanischen Arbeitskultur in Deutschland vermisst?
Nicht viel.
Das Interview mit der Autorin von chingufreunde hat gezeigt, dass das Arbeiten in Korea sich sehr von der deutschen Arbeitskultur unterscheidet. Der Arbeitsalltag ist durch strenge Hierarchien und längere Arbeitszeiten geprägt. Die Trennung zwischen Privatem und Arbeit ist in Korea nicht so streng wie Deutschland, was sich z.B. an den organisierten Trinkabenden zeigt. Außerdem gibt es z.B. für Mütter weniger rechtliche Schutzmechanismen als in anderen Ländern. Wenn du dich dieser Beitrag über das Arbeiten in Korea interessiert hat, solltest du auch unseren Beitrag über das koreanische Schulsystem lesen und unserem Südkorea Blog regelmäßig folgen.
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